Stupid people
We don’t think that people are stupid or irrational. Or that they are easily misled. We think there are reasons for decisions made. Short-term problems however, provoke decisions that are suboptimal in the long run, so all problems need to be addressed. Because there is not only material welfare, it’s the society as a whole that counts.
But we read “Crippled America”. There we find that free trade should be reduced. Only “the deal” in a very mercantilist naïve sense is important. The market is only profitable for society as a whole, when ground rules exist. And we don’t think he understood that. So we had to react.
Video production: arttv 2016 / Heidi Hiltebrand & Rolf Frey
Art design: c-art.ch / Sergio Costantini
„When lawyers act as economists”
Therese Egli und Daniel Sager
Das Bundesgericht kennt sich aus im Markt für Wohn- und Geschäftsflächen. Mit seinem Urteil 4A_691/2015 hat es zu den Marktsituationen Stellung bezogen. Dieses Urteil bestätigte die Rechtmässigkeit der Anfechtung eines Anfangsmietzinses in der Stadt Zürich durch zwei gut verdienende Angestellte aufgrund von Wohnungsnot, ohne dass eine persönliche Notlage vorliegen muss. So sei es “eine Binsenwahrheit, dass Konsumenten keine den Anbietern vergleichbare Stellung einnehmen, die ihnen die Verhandlung eines ausgewogenen Vertrages ermöglichen könnte“. Darum müsse man sie „insbesondere in Situationen der Wohnungsnot schützen“.
Es sei jetzt einmal gesagt: Wir würden uns nie anmassen ein Bundesgerichtsurteil zu fällen. Wir sind nämlich keine Juristen. Das Bundesgericht hat diesbezüglich weniger Berührungsängste. Der Einführungskurs Volkswirtschaftslehre für Juristen reicht offenbar vollkommen, um ökonomisch fundierte Aussagen zu machen. Trotzdem wagen wir es, die Argumentation zu hinterfragen.
Im Wohnungsmarkt haben zahlreiche Nachfrager ähnliche Präferenzen und treffen auf ähnliche Angebote. Kein Nachfrager gibt preis, wie viel er effektiv zu zahlen bereit ist. Er orientiert sich an seiner Nachfragegruppe. Und solange der Vermieter hier nicht zwischen einzelnen Gruppen (nach Vermögen, Alter, Geschlecht) differenzieren kann, wird sich der Mietzins ebenfalls daran orientieren. Die Marktmacht ist somit beschränkt. Ausserdem limitieren auch die Option Wohneigentum, die im Idealfall allen Mietern zur Verfügung stünde und die sprichwörtliche Immobilität einer Immobilie die Marktmacht des Vermieters.
Naturgemäss haben aber die Vermieter bei Wohnungsknappheit tatsächlich eine stärkere Verhandlungsposition. Und Knappheit kann auch durch Leerstand gemessen werden. Eine (zu) tiefe Leerstandsquote ist bei funktionierenden Märkten allerdings kein Dauerzustand. Aber dynamische Modelle kommen im Einführungskurs zur Volkswirtschaft für Juristen leider nicht vor. Mehrjährige Anpassungsprozesse sind im Immobilienmarkt durchaus normal, da sich Planung, Bewilligung und Realisierung von Neubauten nun mal in die Länge ziehen. Wenn sich das Angebot bei einem knappen Markt erhöht und damit auch die Leerstandsquote mittelfristig ansteigt, „funktioniert“ der Markt. Er wird aber gestört, wenn das Angebotswachstum unterbunden oder die Preisbildung ausser Kraft gesetzt wird. Was dem Bundesgericht bisher glücklicherweise noch nicht ganz gelungen ist.
Was aber der Leerstand nur schwer zeigen kann, ist das Ausmass des Mangels. Um Mangel festzustellen, könnte man mit dem Konzept des sogenannten Gleichgewichtsleerstands arbeiten. Dieser misst dasjenige Niveau des Leerstands, auf dem die Mieten stabil bleiben. Unterschreitet der Leerstand diese Quote, dann herrscht ein Nachfrageüberhang und die Mieten steigen. Das Bundesgericht legt dieses Niveau unbekümmert bei 1% fest. Dabei variiert diese Quote je nach Region und Marktstruktur. In den Jahren 2004/2005 wurde die amtliche Leerstandserhebung des Bundesamtes für Statistik genau untersucht. Dabei wurde festgehalten, dass diese Statistik zwar in einzelnen Regionen einigermassen konsistent erhoben wird, insgesamt aber gravierende Qualitätsmängel aufweist. Eine kommunal verlässliche Erhebung ist das sicher nicht. Ausserdem wurde anhand der amtlichen Zahlen für die Stadt Zürich eine Gleichgewichtsleerstandsquote von 0.26% ermittelt. Weit entfernt von 1%!
2015 betrug die amtlich gemessene Leerstandsquote in der Stadt Zürich 0.22%. Sie lag somit unter 0.26%. Herrscht nun Wohnungsnot? Oder müssen die Haushalte einfach etwas länger warten, bis sie das Passende finden? Was ist, wenn nächstes Jahr die Quote bei 0.28% liegt? Konsequent wäre, dass der Vermieter dann den Vertrag neu aushandeln darf, weil der Markt keine „Wohnungsnot“ mehr aufweist. Wäre es vielleicht nicht auch hilfreich den Begriff der Wohnungsnot einmal zu definieren?
Es gibt andere Masszahlen, die besser über Mangel im Wohnungsmarkt Auskunft geben. So basiert beispielsweise der Monitor des Bundesamtes für Wohnungswesen auf einem Modell zur Analyse von Insertionsdauern. Dieses gibt zuverlässig über die Knappheitssituation im Markt Auskunft. Ausserdem unterscheidet es nach Preissegmenten, weil man die Situation für verschiedene Kaufkraftgruppen beobachten will. Die so gemessene Knappheit für das Jahr 2015 wird in der Abbildung für den oberen Preisbereich des Mietwohnungsmarktes dargestellt. Ein Wert von -5 stellt dabei äusserste Knappheit dar, einer von 0 deutet auf einen Markt im Gleichgewicht und bei 5 herrscht massives Überangebot.
Die Abbildung zeigt, dass im Bereich günstiger Mietwohnungen effektiv Mangel herrscht. Allerdings weist ein hellroter Wert noch nicht zwingend auf Wohnungsnot hin. In dunkelroten ist die Situation aber sicher problematisch. Im Bereich der teureren Mietwohnungen ist 2015 aber keine Region sehr knapp. Was übrigens für Zürich auch bereits im Jahr 2013 galt. Dies illustriert, wie absurd der Schutz kaufkräftiger Haushalte auf dem Mietwohnungsmarkt aufgrund trivial-ökonomischer und quantitativ unbedarfter Überlegungen ist.
Wir fassen zusammen:
Das Bundesgericht meint: Um die Mieter vor Ausbeutung zu schützen, darf die Anfangsmiete bei Wohnungsnot angefochten werden. Diese wird abschliessend am Leerstand gemessen.
Wir meinen:
- Ein Mieter der (vermögensmässig) auch Eigentümer werden kann, kann nicht ausgebeutet werden.
- Leerstand kann Knappheit anzeigen, der Gleichgewichtsleerstand kann aber relativ tief liegen
- Die amtliche Statistik ist keine zuverlässige Leerstandsmessung.
- Andere Masszahlen zeigen deutlich, dass im oberen Preissegment des Mietwohnungsmarktes sicher keine Wohnungsnot herrscht.
- Die Rezeptur des Bundesgerichts ist “self fulfilling”. Werden die Mieten künstlich tief gehalten, dann stehen die Leute Schlange und der Leerstand wird gerade deshalb gegen Null tendieren.
- Wirklich kaufkraftschwachen Haushalten auf Wohnungssuche wird nicht geholfen, wenn die Preisdifferenzierung nach oben eingeschränkt wird. Im Gegenteil, ihre Situation wird nur noch schwieriger.
Wohnungsnot ist unserer Ansicht nach ein individuell zu definierendes Konzept, nämlich “die Unmöglichkeit innert nützlicher Frist eine dem Budget angemessene Unterkunft zu finden”. Tritt sie auf, löst man das Problem am Besten individuell oder für die betroffene Zielgruppe. Ganz sicher löst man es nicht durch Aushebelung der Preisbildung.
Trotzdem anerkennen wir, dass das Bundesgerichtsurteil auch Vorteile bringt. Es wird ein Modell zur Wohnungsnot brauchen. Die Eigentümer werden ein Screening der Mieter nach Anfechtungsrisiko und die Mieter die Vormieten der Wohnungen nachfragen. Dass dergleichen die öffentliche Wohlfahrt der Schweiz fördert, wagen wir zu bezweifeln. Die Wohlfahrt der Anbieter entsprechender Dienstleistungen aber ganz bestimmt.